Unsere gefälschte Geschichte

Buchbesprechung von Gernot L. Geise; veröffentlicht in EFODON SYNESIS Nr. 3/1999


Uwe Topper
Erfundene Geschichte
Unsere Zeitrechnung ist falsch
Leben wir im Jahr 1702?

Herbig-Verlag, München 1999
ISBN 3-7766-2085-4

Das zweite innerhalb kurzer Zeit erschienene Buch von Uwe Topper zur mittelalterlichen Zeitrekonstruktion sollte, lt. Topper, eigentlich als erstes erscheinen, die Verzögerung lag beim Verlag. Für den Leser, der sich bisher mit dem Thema der Zeitrekonstruktion nicht befasst hat, für den diese Thematik also neu ist, bietet dieses Buch einen sehr gut verständlichen Einstieg. Auch einige Unterthemen, die in Toppers Buch "Die große Aktion" (1) nur angerissen werden konnten, sind hier besser erklärt. Die beiden Bücher ergänzen sich, obwohl die Titel ähnlich klingen. Der interessierte Käufer im Buchladen wird sich allerdings zunächst fragen, ob der Autor dasselbe Buch unter anderem Titel zweimal in verschiedenen Verlagen veröffentlicht hat. Das Thema Zeitrekonstruktion ist jedoch so umfassend, dass es auch nicht mit zwei Büchern komplett abgehandelt werden kann. Es können immer nur Sachverhalte angerissen werden. Die große Arbeit der wirklichen Zeitrekonstruktion wird bei den Historikern liegen, die sich jedoch bisher beharrlich weigern, diesbezügliche Geschichtskorrekturen vorzunehmen.

Topper gibt einen guten Überblick über die bisherigen Arbeiten der anderen Zeitrekonstrukteure und zitiert sie an entsprechenden Stellen ausführlich. Diese Vorgehensweise ist fair, und es kommt niemals der Verdacht auf, Topper hätte sich alles selbst ausgedacht.

Was ist Zeitrekonstruktion? Viele werden diesen Begriff noch nie gehört haben oder können sich kaum etwas darunter vorstellen. Denn dass unsere Zeitrechnung mitsamt der dazugehörigen Geschichte zumindest teilweise gefälscht oder völlig erfunden ist, wird in keiner Schule gelehrt. Und doch ist es so. Topper ist nicht der erste, der hier Zweifel angemeldet hat. Schon vor ein paar hundert Jahren kamen erste Zweifel an der gelehrten Geschichte auf, die jedoch niemals ernst genommen wurden. Der letzte, recht radikal vorgehende Kritiker im deutschsprachigen Raum war Wilhelm Kammeier, auch er wurde von den Historikern ignoriert. Nichtbeachtung ist bei der Wissenschaft der gängige Weg, unbequeme Kritiker zu behandeln.

Im Laufe der letzten Jahrzehnte fanden sich eine Handvoll mutiger Nonkonformisten, die immer mehr von sich reden machten. Allen voran Heribert Illig und Gunnar Heinsohn. Ihr Gebiet war hauptsächlich die ägyptische, sumerische oder auch persische Geschichte, wobei sie zu der Erkenntnis kamen, dass hier nicht nur Jahrhunderte, sondern gar Jahrtausende, ja ganze Königreiche, die es niemals gab, von unseren Historikern künstlich eingefügt wurden. Herrscher und ihre Taten (Kriege) wurden mehrfach aufgeführt, und so wurden diese Zivilisationen immer weiter in die Vergangenheit geschoben. Heribert Illig begann dann, sich dem Mittelalter zu widmen, wobei er eine Lücke von rund dreihundert Jahren feststellte, die völlig fundlos war, oder in die Funde hineindatiert wurden, die ganz offensichtlich in eine andere Zeit gehören. Es war die Zeit um Karl den Großen, die zwar in jedem Geschichtsbuch steht, aber ein reines Märchen ist. Illig konnte minutiös nachweisen, dass Karl der Große niemals gelebt hat, dass er eine Erfindung des späten Mittelalters ist, dessen Leben und Taten im Laufe der Zeit immer mehr ausgeschmückt wurden. Doch prüft man genauer nach, ist weder archäologisch noch schriftlich irgendein Beleg für Karl vorhanden.

Marmortafel aus Montoro aus dem Jahr 681 Era = 643 n.C.

Marmortafel aus Montoro aus dem Jahr 681 Era = 643 n.C. -Beispiel für die Unkenntnis der Fälscher (S. 108)

Auch Topper kommt bei seinen Recherchen auf die von Heribert Illig angenommenen 297 Jahre, die in unserer Geschichtsschreibung zuviel geführt werden, und er konkretisiert diese Behauptung genauer, beispielsweise durch Vergleiche mit der in Spanien üblich gewesenen Zeitzählung Era.

Der Islam entpuppt sich als frühchristliche Glaubensrichtung, deren Entstehung erst im Mittelalter von der "wahren" Kirche auf das "teuflische" Jahr 666 zurückdatiert wurde, an dem - nach der Bibel - der Antichrist erscheinen sollte. So hatte man auf geschickte Art den Glaubenskampf gegen die Andersgläubigen legalisiert.

Auch die Geschichtsschreibung im Osten weist Schwächen auf, die fast nahtlos in die künstlich gestreckte europäische Geschichte passen. Das überregionale Problem besteht darin, dass es einfach keine zuverlässig datierbaren Ereignisse oder deren Aufzeichnungen gibt. In Europa schrieb allein die übermächtige Kirche die Geschichte, und ihr musste es daran liegen, gegenüber den Heiden als die ältere Glaubensinstitution dazustehen. Das schuf Macht und die Rechtfertigung, gegen andere mit Gewalt vorzugehen, um auch über sie Macht ausüben zu können.

Eine künstlich zurückdatierte Geschichte, aufgefüllt mit (christlichen) Phantasiekönigen, Päpsten und Helden, schuf beispielsweise auch die Rechtfertigung, Spanien vom Islam "zurück zu erobern" (Reconquista), obwohl es dort vorher kein Christentum gab.

Sehr wichtig finde ich das Kapitel über die Unzuverlässigkeit der Zeitbestimmungsmethoden, denn das wäre der erste Einwand des unvorbelasteten Lesers, der letztendlich nur weiß, was in Zeitungen oder Lexika dazu veröffentlicht wird. Und wer weiß schon (es sei denn, er habe das Buch C14-Crash von Blöss/Niemitz gelesen), welcher Betrug uns hier von der Wissenschaft mit den Datierungsmethoden vorgemacht wird, die sich alle gegenseitig und anhand der "verbürgten" Geschichte kalibrieren. Lobenswerterweise klärt Topper auch über die gerade in letzter Zeit durch Fernsehsendungen wieder aktuellen Datierungen der Eisschichten (Grönland und Antarktis) auf, über die es heißt, dass sie angeblich unbestechlich genau seien, weil sie durch Jahrtausende konserviert seien. Wie sehr hier geheuchelt wird, um irgendwelche Verfärbungen als einschneidende Klimaveränderungen durch irgendeinen geschichtlich "belegten" Vulkanausbruch zu deklarieren (und somit das falsche Geschichtsbild nachträglich zu zementieren), weiß kaum ein Außenstehender. Wir bekommen nur immer die fertigen Ergebnisse zu sehen, die dann natürlich "unanfechtbar" sind.

Auch die Frage der Münzprägungen behandelt Topper eingehend. Wie er selbst feststellt, wären Münzen letztendlich Objekte, die sich erfolgreich jeder künstlichen Zeitkorrektur entziehen würden, denn man kann sie unmöglich alle wieder einsammeln, wenn man ein paar Jahrhunderte in die Geschichte einfügen (oder herausstreichen) will. Doch - oh Wunder! - wo sind die Münzen aus den als eingeschoben erkannten, also leeren, Jahrhunderten? Es ist verblüffend: aus diesen Zeiten gibt es keine! War die europäische Bevölkerung rund drei Jahrhunderte lang ausgestorben? Was war mit den großartigen Handelsverbindungen der karolingischen Epoche? Hier müssten doch nicht nur jede Menge Münzen geprägt worden, sondern auch - durch den Handel - Münzen der Handelspartner aus dieser Zeit vorhanden sein. Wo sind sie? Das Problem der fehlenden karolingischen Münzen hat schon Illig erwähnt.

Ebenso verhält es sich mit archäologischen Ausgrabungen in Städten, die es seit der "Römer"-Zeit gab. Da klafft eine Lücke von rund dreihundert (manchmal mehr, manchmal weniger) Jahren, in der die Städte ausgestorben sein müssen, weil keinerlei Bautätigkeit nachweisbar ist, keine Abfälle produziert wurden usw. Direkt über den älteren Schichten fangen die rund dreihundert Jahre jüngeren an. Das ist den Archäologen zwar auch aufgefallen, doch da sie ihre Funde anhand der "geschichtlichen Fakten" datieren, befinden sie sich in der Zwickmühle. Die offizielle Geschichte schreibt Jahrhunderte vor, die andererseits völlig fundlos sind. Das gibt zu denken. Doch warum denkt keiner in die richtige Richtung? Wenn flächendeckend zwischen gut datierbaren Stratigrafien die Schicht von drei Jahrhunderten fehlt oder fundlos ist, so gab es diese Jahrhunderte nicht!

Das Mittelalter - und auch die überlieferten Zeiten davor - sind bei den Historikern (leider nicht in der Bevölkerung) bekannt für weitreichende Fälschungsaktionen, die meist der Glorie oder dem Machtanspruch eines Herrschers dienten. Selbst seriöse Wissenschaftler vertreten die Meinung, dass kaum eine Überlieferung als echt oder wahr angesehen werden kann. Wie schon beispielsweise Wattenbach/Dümmler/Huf in ihren Standardwerken "Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter" (Kettwig 1991) feststellen, ist man sich auf Seiten der Historiker durchaus dessen bewusst. Man bleibe jedoch, wegen des Mangels an wahren Überlieferungen, bei dem als falsch erkannten Geschichtsbild...

Was die Historiker schreckt - eine Neudefinierung der Geschichte -, wagt Topper, obwohl er sich dessen bewusst ist, dass dies nur ein winziger Schritt in die richtige Richtung sein kann. Aber besser ein kleiner Schritt, als gar keiner! Irgendwo (-wann) muss man damit anfangen.

Wer waren die Wikinger wirklich? Waren es wirklich die brandschatzenden Horden aus dem hohen Norden, die gleich mehrfach Europa heimgesucht haben sollen? Auch hier räumt Topper auf. Die Wikinger (Normannen) waren überwiegend friedliche Händler, und nur durch eine mehrfache zeitliche Rückprojizierung ließ sich in der Bevölkerung Angst und Schrecken vor ihnen aufbauen. Denn: wo sind die archäologischen Belege für die Wikinger-Raubzüge? Sie fehlen, wie so vieles. Schon Thomas Riemer hatte Anfang der neunziger Jahre aufgrund ausgiebiger Recherchen angenommen, dass alle Geschichtsdaten, die vor dem Dreißigjährigen Krieg liegen, nicht nur gefälscht, sondern definitiv falsch sind. Seiner Meinung nach stammten die Normannen nicht aus irgendwelchen nordischen Ländern (denn diese sind selbst heute noch zu spärlich bevölkert, um die in den Überlieferungen beschriebenen Horden stellen zu können). Er postulierte, dass die Normannen logischerweise aus dem nach ihnen benannten Land, der Normandie, stammten, und eine Kolonisationswelle in umgekehrter Richtung verlief, in Richtung Norden.

Was sollte mit einer umfassenden Fälschungsaktion der Geschichte bewerkstelligt werden? Offensichtlich ging es um reine Machtausübung der Kirche, denn sie war überwiegend die treibende Kraft der Fälschungen. Und dass eine solch breit angelegte Fälschungsaktion nicht völlig nahtlos und fehlerfrei vor sich gehen kann, belegen zahlreiche Beispiele.

Es wurden ja nicht nur Dokumente in großem Maßstab gefälscht (indem man sie beispielsweise als Abschriften von leider verschollenen Originalen bezeichnete, die es aber niemals gab), sondern auch Inschriften an Kirchen, oder selbst Grabsteine. Recht kurios mutet es an, wenn bei Inschriften oder in Dokumenten die Jahreszahl (oder der Empfängername) einfach freigelassen wurde. Das entsprang wohl der Unsicherheit über die neu erfundenen Zeiten und Personen. Man wollte die fehlenden Angaben wohl später nachtragen, vergaß es jedoch. Ebenso viele Dokumente sind jedoch bekannt, in denen tatsächlich Namen und Daten ganz offensichtlich später nachgetragen worden sind.

Ich warte noch darauf, dass endlich jemand mit dem "Römischen Reich" aufräumt und es dorthin befördert, wohin es gehört: in den Papierkorb der Weltgeschichte. Denn hier gibt es ebenso viele Falschaussagen, Widersprüche und Falschdatierungen wie über die "dunkle Zeit" des Mittelalters. Über unseren Freund Tacitus wissen wir ja inzwischen, dass er eine Fiktivgestalt ist. Und mit ihm seine Werke, auf denen fast unsere ganze "römische" (und damit europäische) Geschichte aufbaut. Tacitus' Werke wurden im Mittelalter im Kloster Corvey geschrieben. Trotzdem wagt bisher niemand, das "Imperium Romanum" anzuzweifeln.

Und doch ist es selbst für einen historisch nicht vorgebildeten Laien ganz offensichtlich, dass hier etwas nicht stimmen kann: Vergleicht man einmal die "römischen" mit den Herrschern des "Heiligen Römischen Reiches" des Mittelalters, dazu ihre Taten, ihre Verwandtschaft, Nachkommen (Namen!), ihre Regierungszeiten usw. usw., so ist die Gleichartigkeit derart verblüffend, dass es naheliegt, hier nicht nur eine zeitliche Verdoppelung zu erkennen. Wäre das nicht auch ein Thema für Uwe Topper?

Anmerkungen
(1) "Die Große Aktion. Europas erfundene Geschichte", Tübingen 1998

(© Gernot L. Geise, 1999)


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